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Bericht Integrationslotsenausbildung, Zeitz, 28.01.2018

Im Rahmen des Projekts Interkulturelles Lern- und Kompetenzzentrum Sport können sich engagierte TrainerInnen zu Integrationslotsen ausbilden lassen. Die Qualifizierung besteht aus insgesamt vier Veranstaltungstagen.

Im Rahmen des Projekts Interkulturelles Lern- und Kompetenzzentrum Sport können sich engagierte TrainerInnen zu Integrationslotsen ausbilden lassen. Die Qualifizierung besteht aus insgesamt vier Veranstaltungstagen. Am 27. und 28. Januar 2018 fand das erste von insgesamt zwei Wochenenden der Ausbildung in den Räumlichkeiten des Landesverbandes in Zeitz statt. Daran nahmen insgesamt zehn Personen teil, sowohl aus verschiedenen Ju-Jitsu-Vereinen, als auch aus anderen Bereichen. Das Ziel ist die interkulturelle Öffnung der Vereine, u.a. um sie attraktiver für Geflüchtete zu machen. Durch die Ausbildung von Multiplikatoren soll ein gleichberechtigtes und demokratisches Miteinander im Verein, aber auch darüber hinaus, geschaffen werden. Kulturelle Grenzen sollen aufgelöst werden, indem man sich nicht auf Gruppenzugehörigkeiten beschränkt, sondern sich als gleichwertige Individuen begegnet. (FOTO: Gruppe)

Vielfalt, Identität und Kultur/ Vorurteilsfrei und inklusiv im Verein – Strategien gegen Diskriminierung

Csaba Döme vom Friedenskreis Halle e. V. hat auf Grund der positiven Resonanz zum wiederholten Mal einen Workshop im Rahmen der Integrationslotsenausbildung geleitet. Im Mittelpunkt stand dabei das Thema „Interkulturelle Kompetenz“. Durch seine prozessorientierte Arbeitsweise brachte Döme die TeilnehmerInnen dazu, sich mit ihrer Rolle als Integrationslotse/-lotsin auseinanderzusetzen. Um aktiv gegen Diskriminierung im Verein vorgehen zu können, müsse diese rechtzeitig als solche identifiziert werden.

Döme legte in seinen Workshops großen Wert auf die Betrachtung der einzelnen „Person“. Zur Verdeutlichung zog er das Kulturdreieck von Hofstede heran, bei dem die „Person“ an der Spitze der Pyramide steht darstellt. Um Diskriminierung entgegenzuwirken, sei es von fundamentaler Wichtigkeit, dass man anderen Menschen auf der individuellen Ebene begegne. Oft resultiere Abgrenzung aus einer Reduktion auf die kulturelle Ebene, wobei vergessen werde, dass Kultur nur ein Aspekt der Identität sei. Deshalb sei diese Einheit ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung, da die zukünftigen Integrationslotsen sich kritisch mit ihren eigenen Vorurteilen auseinandersetzen müssen. (FOTO: Dreieck)

Sehr gut lassen sich die Ziele des Workshops anhand des sogenannten „Zitronen-Spiels“ exemplarisch verdeutlichen. Dieses bestand aus mehreren verschiedenen Teilaufgaben, die in Kleingruppen gelöst werden mussten. Es begann damit, dass im Plenum die Eigenschaften von Zitronen, wie „gelb“, „sauer“ oder „rund“, gesammelt wurden. Anschließend wurde den Kleingruppen jeweils eine Zitrone zugeteilt, die sie sich genau einprägen sollten. Nachdem alle Früchte durchmischt wurden, war es die Aufgabe jeder Gruppe „ihre“ Zitrone zu identifizieren. Auf die Rückfrage Dömes hin, inwieweit die zuvor gesammelten Kriterien beim Erkennen geholfen hätten, sagten alle, dass diese wenig hilfreich waren. Sie seien zu allgemein und träfen nur auf die „Gruppe“ aller Zitronen zu. Jede einzelne Frucht habe darüber hinaus Alleinstellungsmerkmale, wie Dellen oder Flecken, die sie von den anderen unterscheidet. Im nächsten Abschnitt sollten sich die Kleingruppen einen Namen und eine Geschichte überlegen, wie ihre Zitrone nach Zeitz gelangt sein könnte. Nachdem alle Gruppen die Herkunftsgeschichten von „Frederike“, „Paula“ und „Citrón“ vorgestellt hatten, holte Döme ein großes Küchenmesser und fragte, ob es in Ordnung sei, wenn jetzt Limo aus den Zitronen gemacht werde. Die Gruppen protestierten lautstark dagegen. Diese heftige Reaktion zeigte, dass die Gruppen eine Beziehung zu den Früchten aufgebaut hatten. Döme nutzte die Gelegenheit die TeilnehmerInnen dazu zu ermutigen, sich nicht auf Oberflächliches zu beschränken und die Einzigartigkeit jeder Person wahrzunehmen. Im Rahmen des Spiels fand gewissermaßen eine Personifizierung der Objekte statt. Döme machte deutlich, dass im Umgang mit „den Flüchtlingen“ teilweise eine gegenteilige Entwicklung ablaufe.

 

Was ist ein Integrationslotse?

Zur Vorbereitung auf die Tätigkeit als Integrationslotse oder Integrationslotsin gehört auch eine Auseinandersetzung mit der Frage „Was ist ein Integratioslotse?“. Zu diesem Thema leitete Verena Böhnisch vom Kurdistan Kultur- und Hilfsverein e.  V. eine Gruppenarbeit an. Dabei standen drei Fragen im Mittelpunkt:

  1. Definition – Was ist das?
  2. Mein Verein und Umfeld – Wie könnte es aussehen?
  3. Rahmenbedingungen – Was brauchen wir?

Die TeilnehmerInnen „diskutierten zunächst in Kleingruppen über die Aufgaben und Handlungsspielräume eines Integrationslotsen. Anschließend wurden die Ergebnisse auf Plakaten festgehalten und den Anderen präsentiert. Besonders wichtig war es ihnen dabei herauszustellen, dass die Aufgaben eines Integrationslotsen nicht nur auf Geflüchtete beschränkt seien. Vielmehr sei es das Ziel, durch den Integrationslotsen/ die Integrationslotsin insgesamt ein toleranteres, offeneres Vereinsklima zu schaffen, wovon ALLE Mitglieder profitieren. (FOTO: Zwei Plakate)

Die Aktionen des Integrationslotsen im Vereinsleben können sowohl aktiver als auch passiver Natur sein. Während er/sie allein durch die Präsenz im Verein zu einem toleranteren und offeneren Vereinsklima beitragen könne, sollte er/sie im Ernstfall auch aktiv eingreifen. Es kam der Vorschlag auf, dass die Integration eines Mitglieds in den Verein mit der Verteilung von Aufgaben und Posten zusammenhängen sollte. Durch eine aktive Beteiligung am Vereinsleben könne die Integration schneller gelingen.

Damit die zukünftigen Integrationslotsen in ihrem Verein besonders gut arbeiten können, sei es wichtig, dass die Mitglieder über ihre Position informiert seien. Hilfreich wäre deshalb beispielsweise eine Broschüre, in der erklärt wird, was genau die Aufgaben eines Integrationslotsen/ einer Integrationslotsin sind und wie man ihn/sie erreichen kann. Auch eine Nennung auf der Webseite oder im Newsletter wären denkbar.

Islam und muslimisches Leben; Stereotype/Othering

Die Aufgabe eines Integrationslotsen beschränkt sich zwar nicht auf den Umgang mit Geflüchteten, dennoch sind besonders in jüngerer Vergangenheit immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund in die Vereine gekommen. Auf ausdrücklichen Wunsch der TeilnehmerInnen hin, wurde im Rahmen dieses Ausbildungswochenendes deshalb erstmals eine Einheit zum Thema „Islam“ angeboten. Dr. Adrian Klein von Multi-Kulti Dessau hat in seinem Vortrag über den Zusammenhang von „Islam“ und „Radikalisierung“ gesprochen. Er stellte heraus, dass Radikalisierung nicht – entgegen der verbreiteten Ansicht – mit den Inhalten des Islam selbst zu tun habe. Vielmehr hänge der Prozess vom Umgang der „Mehrheitsgesellschaft“ mit der islamischen Minderheit ab. Im Wesentlichen nannte er drei Gründe, die eine Radikalisierung, besonders bei jungen Menschen, begünstige.

Fehlende Teilhabe und Diskriminierung: Dr. Klein betonte, dass Radikalisierung oft am Rande der Gesellschaft stattfinde. Die Erfahrungen der mangelnden Teilhabe und der Marginalisierung bedingten den Prozess. Diese Ausgrenzung hinge nicht zuletzt auch mit der Islamkritik in der Öffentlichkeit zusammen. Durch den starken Fokus auf die Gegensätze zwischen dem „Wir“ und dem „Islam“ finde eine Reduktion der Menschen statt. Gewissermaßen schaffe man einen „homo islamicus“, dessen einziges Merkmal seine Zugehörigkeit zum Islam sei.

(Jugendkulturelle) Provokation und Protest: Das Bekenntnis zum Islam könne teilweise auch als eine Art Protest gegenüber der Konsumgesellschaft verstanden werden, so Dr. Klein. Die strikte Unterteilung aller Lebensbereiche in haram und halal stehe im Widerspruch zum Leben der westlichen Moderne. So hätten sich unter anderem einige bekannte deutsche Rapper öffentlich als Muslim „geoutet“. Hierbei ginge es nicht unbedingt um etwas Spirituelles, sondern vielmehr könne der Islam als neue Form einer jugendkulturellen Protestbewegung verstanden werden.

Suche nach Identität und Zugehörigkeit: Für Dr. Klein war die Problematik der Identitätsfrage, insbesondere bei Migranten, ein schwieriges Thema. Durch das Gefühl der „Nicht-Zugehörigkeit“ fehle es ihnen an Antworten auf existenzielle Lebensfragen. In diesem Zusammenhang betonte Dr. Klein noch einmal seine zentrale Aussage: „Es gibt viele Aspekte von Identität, jedoch werden besonders in Bezug auf den Islam große Teile ausgeblendet, sodass Personen nur auf Grund ihrer „religiösen Identität“ wahrgenommen werden.“

 

Radikalisierung; Kampfsport: Männlichkeit und Heroismus; Kampfsport und Prävention: Stärken und Schwächen

Der letzte Workshop des ersten Ausbildungswochenendes wurde von Emanuel Schröder (Multi-Kulti Dessau) geleitet. Schröder ist selbst aktiver Kampfsportler und konnte somit seine eigene Erfahrung zu den Themen „Gewalt, Männlichkeit und Kampfsport“ miteinfließen lassen. (FOTO: Tafel)

Kampfsport und Gewalt: Schröder verstand die „Kampfkunst als Kultivierung der Gewalt“. Das bedeute für ihn konkret, dass sich der Kampfsport immer im Grenzbereich des gesellschaftlich Akzeptablen bewege. Die kritischen Prinzipien wie „Härte, Arroganz, Dominanz und gewaltliches Kämpfen“, werden jedoch durch das Setting des Sportvereins, mit seinen Werten und Tugenden wie „Fairness, Respekt und Toleranz“, kontrolliert.

Gewalt und Männlichkeit: In seinem Workshop setzte sich Schröder auch mit dem Zusammenhang von Gewalt und Männlichkeit auseinander. Er beschränkte sich in diesem Kontext in erster Linie auf Männer, da Frauen ihre Aggression in der Regel eher nach Innen trügen und sich beispielsweise selbst verletzten. Dass Männer ihre Aggression nach außen hin offen zur Schau stellen, begründet Schröder mit dem sogenannten „Männlichen Prinzip“. Dieses Prinzip umfasse unter anderem Durchsetzungskraft, Rücksichtslosigkeit und Betonung des Individuellen gegenüber dem Sozialen. Es finde eine Sozialisierung der Männer mit einem bestimmten Rollenangebot statt. Grundsätzlich würden viele Aspekte des „Männlichen Prinzips“ im Kampfsport gefordert und gefördert. Deshalb sei es die Aufgabe des Vereins, andere Rollenangebote anzubieten, bei denen Männer auch Emotionalität zeigen dürfen. Durch eine Förderung des sozialen Zusammenhalts gegenüber dem individuellen Fokus kann einer „emotionalen Kälte“ entgegengewirkt werden. (FOTO: Referent mit Flipchart)

22. März 2018
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